Ich sass in der Kirche und lauschte der Predigt.

  Mein Blick ruhte auf dem «Ewigen Licht», bis meine Augen der hellgrauen Kordel, an der es an der Decke hing, entlang nach oben folgten. Und plötzlich war es mit meinem Zuhören vorbei…..

   Die Kordel erschien in verschiedenen Farben! Zu oberst, wo sie durch das Licht der Scheinwerfer, die das Deckenfresko beleuchten, angestrahlt wurde, leuchtete sie goldgelb! Wenig darunter verlief sie – von mir aus gesehen – im goldig-grau-schattierten Umhang von Gottvater im Fresko und war fast gar nicht wahrnehmbar. Darunter, vor der weissen Wand, erschien sie fast schwarz und wo der grau-rostrot-marmorierte Hauptaltar den Hintergrund bildete, sah ich sie so, wie sie war: hellgrau.

   Mir drängte sich der Gedanke auf, dass wohl viele Dinge, die einem im Leben begegnen und auf die man reagieren muss, ähnlich sind wie diese Kordel: Die objektive Tatsache – sie ist hellgrau - ist oft nicht hilfreich. Wir sehen anderes, je nach dem, wie Beleuchtung, Hintergrund und unsere Perspektive darauf sind. Das Lied von Mani Matter «Ir Ysebahn» beschreibt das auch sehr gut. Zudem sucht das menschliche Auge automatisch nach Kontrasten und glaubt, diese seien tatsächlich da.

   Schon oft habe ich mich gefragt, wie Gott gerecht sein kann, ohne dass es anderen Menschen gegenüber wieder ungerecht ist! So viele Menschen! So viele Details, Zusammenhänge, Folgen, Verwicklungen. Wenn Kinder streiten, ist es meist unmöglich, herauszufinden, wer «angefangen» hat. Denn es war immer noch etwas «davor». Die menschliche Gerechtigkeit kommt ziemlich schnell an Grenzen. Das beweisen die dicken Gesetzesbücher, die immer noch dicker werden, aus dem Bestreben heraus, jede Möglichkeit zu bedenken und «Recht zu sprechen». Und trotzdem manchmal so ungerecht erscheinen…..

   Zum Glück kennt Gott «das Herz und die Nieren» eines jeden Menschen, kennt jeden Hintergrund, jede Beleuchtung, jede Blickrichtung und die individuelle Farbenblindheit jedes Einzelnen! So kann er göttlich gerecht sein. Von seiner Gnade und Barmherzigkeit ganz zu schweigen…..

Text und Bild: B. Herzog

Alpstein
Quelle: B. Herzog